Als Trauerredner heilsame Worte finden

Liebe sichtbar zu machen, das ist die wichtigste und erste Aufgabe eines Trauerredners. Aber nicht immer ist es mit der Liebe so einfach. In vielen Trauersituationen begegnen mir problematische Formen von Liebe, und über diese verschiedenen Aspekte problematischer Liebe spreche ich in diesem vierteiligen Podcast. In diesen Fällen genügt es nämlich nicht, die Liebe sichtbar zu machen, sondern es geht darum, sie zu verwandeln. Die Liebe soll sich in Kraft verwandeln.

Teil 1: Unterschätzte Liebe

Wie machen wir als Trauerredner Liebe sichtbar, wenn die Angehörigen sie nicht sehen?

Die erste Form problematischer Liebe ist die unterschätzte Liebe. Es handelt sich um eine Liebe, die zwar da ist, aber nicht als solche wahrgenommen wird, weil die Möglichkeiten des Verstorbenen, diese Liebe auszudrücken, begrenzt waren. Meist begegnet mir das bei Menschen in der Kriegsgeneration. Die nachfolgenden Generationen können sich nicht wirklich vorstellen, was es bedeutet, die Gräuel des Krieges miterlebt zu haben. Im Zweiten Weltkrieg wurden unzählige Menschen auf eine Weise traumatisiert, die weit jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Viele von denen, die den Krieg überlebt haben, sind trotzdem nicht mehr lebendig zurückgekommen. Sie wurden apathisch oder depressiv oder auf andere Weise unfähig, am Leben teilzunehmen. Wenn sie es geschafft haben, das Leben weiterzugeben, war das in vielen Fällen bereits das Äußerste, wozu sie noch fähig waren. Sie waren schlicht und einfach nicht in der Lage, ihren Kindern zusätzlich zum bloßen Leben auch noch Liebe weiterzugeben. Da die Kinder erst nach dem Krieg gekommen sind, konnten sie das nicht verstehen. Sie sahen nur, dass andere Eltern anders waren, und das trugen sie ihren Eltern nach. Dass ihre Eltern für sie das Äußerste gegeben haben, was ihnen möglich war, können sie nicht sehen, denn sie begreifen nicht, welch enge Grenzen ihren Eltern gesetzt waren.

Unsere Aufgabe als Trauerredner ist es in diesem Fall, die Liebe der Eltern sichtbar zu machen. Ich denke da an eine Frau mit einer sehr schwierigen Lebensgeschichte: Ihre Großmutter verbot ihrer Mutter, sie in ihrem Haus zur Welt zu bringen, weil die Eltern noch nicht verheiratet waren. Die Mutter musste also für die Geburt bei einer anderen Familie unterkommen. Nach der Heirat ihrer Eltern durften sie zurück zu den Großeltern, und sie bekam noch zwei Geschwister. Doch dann ist ihr Vater im Krieg gefallen, und die Mutter musste die Kinder in dieser schweren Zeit alleine durchbringen.

Die Verstorbene hatte ebenfalls ein uneheliches Kind, und leider hielt die Beziehung zum Vater des Kindes nicht. Sie gab ihre Tochter daher in die Obhut ihrer Mutter. Später heiratete sie einen anderen Mann und bekam mit ihm noch zwei Kinder, beide behindert. Nach neun Jahren Ehe verstarb ihr Mann völlig unerwartet. So war sie nun mit ihren behinderten Kindern allein.

Das Gespräch führte ich mit der unehelichen Tochter, die sehr bemüht war, ihrer Mutter eine würdige Trauerfeier zu bereiten, mir aber auch sagte: „Sie war keine gute Mutter und interessierte sich weder für ihre Kinder noch für ihre Enkel. Mich hat sie einfach weggegeben, weil sie mich nicht wollte. Sie wollte von uns nichts wissen, sie hat sich nur dann gemeldet, wenn sie sich gar nicht mehr anders zu helfen wusste.“

Das ist die Sicht eines Kindes. Kinder können das Verhalten ihrer Eltern oft nicht verstehen, weil sie erst viel später gekommen sind und die Geschichte, die davor lag, nicht mitbekommen haben. Das Leben hat dieser Frau viele Grenzen gesetzt, die sie nicht überschreiten konnte, und darüber habe ich in meiner Traueransprache gesprochen.

Schon zu Beginn ihres Lebens war sie nicht gewollt. Sie hatte von Anfang an keine Heimat und keine Geborgenheit, und das prägte ihr ganzes Leben. Was man nicht hat, kann man nicht weiterschenken. Da sie keine Heimat hatte, konnte sie auch ihren Kindern keine Heimat geben. Aus ihrer Sicht als Kind hat dann auch noch der Vater sie verlassen. Zu ihrer Mutter konnte sie mit ihren Sorgen auch nicht kommen, denn die Mutter hatte genug Sorgen damit, die Familie irgendwie durchzubringen. So lernte das Kind, die Familie lieber in Ruhe zu lassen. Das war eine Frage des Überlebens. Man konnte den geliebten Menschen nur dadurch das Überleben sichern, dass man sie nicht auch noch mit den eigenen Problemen belastete.

Später sah ihre Tochter nur, dass sie sich nie bei der Familie gemeldet hat. Dass das von ihrer Perspektive aus aus Liebe geschah, konnte sie nicht sehen. Dass sie ihren Enkeln jedes Jahr zu Weihnachten großzügige Geldgeschenke machte, verstand die Tochter als reine Gewissensberuhigung, weil sie sich nicht für sie interessierte. Es könnte aber auch ganz anders gewesen sein. Ebensowenig konnte die Tochter sehen, dass es Liebe war, aufgrund derer sie sie bei ihrer Mutter gelassen hatte. Denn sie wusste sehr wohl um ihre eigenen Grenzen. Sie wusste, dass sie ihrer Tochter nicht die Liebe und Geborgenheit geben konnte, die sie brauchte. Sie wusste, dass die Möglichkeiten ihrer Mutter größer waren. Sie wollte ihrer Tochter weitere Grenzen bieten als ihre eigenen. Darum hat sie sie bei der Großmutter aufwachsen lassen. Die Tochter sah das als Zurückweisung, doch in Wirklichkeit war es Liebe, eine Liebe, der enge Grenzen gesetzt waren, doch innerhalb dieser Grenzen hat diese Frau das Äußerste gegeben, was ihr möglich war. Das hat aber nie jemand gesehen. Umso wichtiger ist es, diese Liebe wenigstens im Rückblick wahrzunehmen.

Manchmal höre ich: „Es wird nirgends so viel gelogen wie auf Beerdigungen“. Ich glaube, das stimmt nicht. Was ist daran gelogen, wenn man zum ersten Mal nicht nur auf die Grenzen eines Menschen schaut, sondern auch auf das, was dieser Mensch trotz seiner Grenzen erreicht hat? Es ist traurig, aber oft wird bei Beerdigungen zum ersten Mal die Wahrheit gesehen. Diese Wahrheit befreit auch die Angehörigen aus ihren Grenzen und lässt die Liebe fließen. So kann ein Trauerredner helfen, die Grenzen zu sprengen, die den Fluss der Liebe behindern.

Ich nenne diese Liebe „unterschätzte Liebe“, weil es sich um eine sehr große Liebe handelt angesichts der Grenzen, die dem Menschen gesetzt waren. Irrtümlich halten Angehörige sie meist für eine kleine oder gar keine Liebe, doch unsere Aufgabe als Trauerredner ist es, ihre Größe zu sehen.

Ausbildung zum Traureder und Trauerredner im Einzelsetting

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