Als Trauerredner Liebe in Kraft verwandeln

Liebe sichtbar und erfahrbar zu machen ist die vordringlichste Aufgabe eines Trauerredners. Manchmal haben wir als Trauerredner es aber mit problematischen Formen der Liebe zu tun, die es aufzulösen und in Kraft zu verwandeln gilt. Im ersten Teil dieser Reihe habe ich von der unterschätzten Liebe gesprochen. In diesem zweiten Teil geht es nun um eine weitere problematische Form der Liebe, nämlich die dunkle Liebe.

Teil 2: Dunkle Liebe

Wie gehen wir als Trauerredner mit der Verstrickung in dunkle Liebe um?

Die Liebe zwischen Familienangehörigen ist immer besonders stark, zwischen Ehepartnern und Geschwistern und ganz besonders zwischen Eltern und Kindern. Das gilt unabhängig davon, wie die Beziehung der Familienangehörigen untereinander ist, es gilt für harmonische Familien genauso wie für zerstrittene Familien. Blut ist dicker als Wasser, und die Verbindung zwischen Eltern und Kindern kann man nie wirklich abschneiden, egal was passiert. Die Liebe bleibt, und das kann manchmal problematische Formen annehmen.

Als Beispiel für dunkle Liebe fällt mir die Geschichte eines Familienvaters ein, der an Depressionen litt und mit 51 Jahren Suizid begangen hat. Er hinterließ eine Frau und eine Tochter im Alter von 20 Jahren. Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten und war im Garten des Familienhauses verblutet. Dort hat ihn seine Frau gefunden.

Das Problematische an seiner Geschichte war, dass bereits seine Mutter an Depressionen litt. Sie hatte sich das Leben genommen, als er neun Jahre alt war. Sein Vater gab ihn dann zu seiner Lebensgefährtin. Der Vater selbst wohnte aber nicht mit ihnen zusammen. Der Junge versuchte, seinem Vater die Mutter zu ersetzen und ihn so gut wie möglich zu unterstützen, doch er glaubte immer, nicht gut genug zu sein.

 

Die Dynamik hinter der dunklen Liebe ist immer die: „Mir darf es nicht besser gehen als meiner Mutter bzw. meinem Vater“. Aus einer falsch verstandenen Liebe heraus solidarisieren sich die Kinder mit ihren Eltern in der Weise, dass sie mindestens genauso leiden wie sie. Das liegt daran, dass das Kind nicht verstehen kann, warum ein Elternteil geht. Es versteht die Hintergründe nicht und was Depressionen bedeuten. Das Kind sucht in seiner Not nach einer Erklärung, warum die Mutter gegangen ist und kann nur eine finden: Sie ist gegangen, weil ich nicht gut genug war. Oft ist auch der verbleibende Elternteil nicht in der Lage, darüber mit den Kindern zu sprechen. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen. Bei dem Familienvater, von dem ich erzählt habe, wurde das natürlich noch dadurch verstärkt, dass auch der Vater ihn weggegeben hat zu seiner Lebensgefährtin.

Er hat also als Kind geglaubt, dass seine Mutter gegangen ist, weil er nicht gut genug war. Deshalb versuchte er im Nachhinein, noch der gute Sohn zu sein, für seinen Vater da zu sein und mit seiner Mutter zu leiden. Er wurde selbst depressiv und kämpfte mit Suizidgedanken, immer in dem Glauben: „Ich darf nicht ins Leben kommen, mir darf es nicht besser gehen als meiner Mutter.“

Doch dann lernte er eine Frau kennen, mit der er glücklich wurde, die ihn ins Leben zog. Sie heirateten, bekamen eine Tochter und kauften sich ein Haus. Das Glück wäre perfekt gewesen, aber das durfte nicht sein wegen dem Glaubenssatz: „Mir darf es nicht besser gehen als meiner Mutter“. Deswegen schlug die Depression umso härter zu, und als seine Tochter zehn Jahre alt war, da wollte auch er, wie schon seine Mutter, in den Tod gehen. Das einzige, was ihn davon abgehalten hat, war, dass die Liebe zu seiner Tochter noch stärker war. Er erinnerte sich, wie schrecklich der Tod seiner Mutter für ihn war, als er neun Jahre alt war. Das wollte er seiner Tochter nicht antun. Deshalb beschloss er, noch zehn Jahre weiterzuleben. Das war sozusagen ein Kompromiss zwischen der Liebe zu seiner Tochter und der Liebe zu seiner Mutter. So hat er es dann auch gemacht: als die Tochter 20 Jahre alt war, schnitt er sich die Pulsadern auf und folgte endlich seiner Mutter in den Tod.

Unsere Aufgabe als Trauerredner sind aber nicht die Toten, sondern es sind immer die Lebenden. Uns muss es darum gehen, dass die Lebenden ins Leben kommen. In Fällen von dunkler Liebe geht es darum, dass die dunkle Liebe sich nicht weiter fortsetzt in den nächsten Generationen. Auch bei der Tochter war ja diese Dynamik da: Mein Vater hat mich so geliebt, aus Liebe zu ihm darf es mir nicht besser gehen als ihm. Ich darf nicht ins Leben kommen, sonst würde ich seine Liebe nicht würdigen. Für uns als Trauerredner geht es darum, diesen schädlichen Glaubenssatz aufzulösen und die Wahrheit der Liebe sichtbar zu machen.

Deshalb war in meiner Trauerrede die Tochter des Verstorbenen der wichtigste Adressat. Mir ging es darum, ihr deutlich zu machen, dass ihr Vater nur aus einem Grund durchgehalten hat: weil er wollte, dass es seiner Tochter eben nicht so geht wie ihm und seiner Mutter, weil er wollte, dass seine Tochter diesen Teufelskreis durchbricht und endlich ins Leben kommt. Er hat so viel auf sich genommen, damit sie leben kann, deshalb gibt es für sie nur einen Weg, seine Liebe zu würdigen, nämlich den, dass sie lebt und dass sie glücklich lebt. Als Trauerredner kann man in so einem Fall viel bewirken, denn wir als Außenstehende können in einem Familiensystem viel leichter eine neue Perspektive eröffnen, als das die Menschen innerhalb des Systems können.

Ausbildung zum Traureder und Trauerredner im Einzelsetting

Möchten Sie lernen, wie Sie in Ihren Ansprachen den Angehörigen helfen können, dunkle Liebe in eine lebenspendende Liebe zu verwandeln?

Hier geht's zu unserer Rednerausbildung.

Zurück